Alltagsintegrierte Sprachbildung
Online- und Präsenzseminare Udo Elfert

Besonderheiten der deutschen Sprache und Herausforderungen für Kinder mit DaZ

 

Für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) ergeben sich besondere Herausforderungen, die den Eigenheiten der deutschen Sprache geschuldet sind. Dies sollte im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung und Sprachförderung wahrgenommen und berücksichtigt werden.

Jede Sprache hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. So gibt es im Finnischen 15 grammatische Fälle (Kasus), im Khoisan über 150 verschiedene Sprachlaute und Englisch ist die Sprache mit den meisten Wörtern (laut Oxford Dictionary of English im Jahr 2014 etwa 620.000 Wörter).

Deutsch ist allerdings eine schwierig zu erwerbende Sprache, weil hier Herausforderungen auf vielen unterschiedlichen Sprachebenen zusammen kommen.

 

Phonetik

Die deutsche Sprache

  • gilt als harte Sprache
  • ist vokalarm und wenig sonor (wenig klangvoll)
  • enthält viele kurze Vokale
  • hat viele Konsonanten und
  • enthält viele Konsonantenverbindungen (sog. "Konsonantencluster")

Beispiele: „Strumpf“, „Frosch“, „Brezel“, „Tischdecke“.

Ganz anders klingen zum Beispiel die romanischen Sprachen Italienisch und Französisch, die vokalreicher sind, deren Vokallänge größer ist, die weniger Konsonanten und weniger Konsonantenverbindungen enthalten und daher als weicher wahrgenommen werden.

Wenn man sich den Ausschnitt aus dem Film „Der große Diktator“ mit Charlie Chaplin als „Adenoid Hynkel“ aus dem Jahr 1942 anschaut, kann man nachvollziehen, wie die deutsche Sprache von Sprechern anderer Sprachen empfunden wird.

  










Morphologie (Lehre von den Wortformen)

Auch die Morphologie weist im Deutschen einige besondere Herausforderungen auf, die den Erwerb der deutschen Sprache für neue Sprecher als schwierig erscheinen lassen.

  • Pluralbildung: Hier gibt es viele verschiedene Regeln und viele Ausnahmen. So heißt es zum Beispiel „eine Kuh“ und „viele Kühe“, es heißt aber nicht „ein Schuh“ und „viele Schühe“, sondern „viele Schuhe“. Es heißt „ein Rock“ und „mehrere Röcke“, aber nicht „eine Lok“ und „mehrere Löke/Löcke“, sondern „mehrere Loks“. Selbstverständlich stecken hinter den gerade genannten Beispielen auch Regeln, aber diese sind nicht so offensichtlich. – So ist im Englischen die Pluralbildung in den meisten Fällen sehr viel einfacher: Man nehme den Singular (Einzahl), hänge einen S-Laut hinter den Singular und erhält dadurch den Plural.
  • Verben: Im Deutschen gibt es eine ganze Reihe von sog. „starken Verben“. Bei diesen verändert sich der Wortstamm, wenn die Verben in unterschiedliche Zeiten konjugiert (gebeugt) werden. Zum Beispiel: gehen – ging – gegangen, schwimmen – schwamm – geschwommen. Es gibt etwa 200 starke Verben im Deutschen, von denen die meisten zum Grundwortschatz gehören. (Zählt man die abgeleiteten Verben mit – vorgehen, mitgehen, zugehen, weggehen usw. – gibt es natürlich noch viel mehr „starke Verben".) Die Formen der starken Verben folgen zwar gewissen Regeln, müssen aber schließlich gewissermaßen auswendig gelernt werden.
  • Grammatikalische Geschlechter: Das Deutsche weist drei grammatikalische Geschlechter auf: das Maskulinum (männlich, bestimmter Artikel im Nominativ Singular: der), das Femininum (weiblich, bestimmter Artikel im Nominativ Singular: die) und das Neutrum (sächlich, bestimmter Artikel im Nominativ Singular: das). Welches grammatikalische Geschlecht ein Wort hat, lässt sich nicht von der Bedeutung oder der Form des Wortes ableiten. Das grammatikalische Geschlecht beruht auf Konvention (Übereinkunft). Dass das Wort „Tisch“ beispielsweise grammatikalisch männlichen Geschlechts ist und es daher „der Tisch“ heißt, kann man dem Wort Tisch weder an seiner Bedeutung, noch an seiner Form ansehen. – Das grammatikalische Geschlecht eines Wortes muss quasi auswendig gelernt werden und zusammen mit der Wortform selbst im semantischen Lexikon (im Wortschatz) abgespeichert werden.
  • Für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache kommt erschwerend hinzu, dass es Sprachen gibt, die (1) kein grammatikalisches Geschlecht kennen (zum Beispiel Finnisch und Türkisch) und solche, die (2) zwar bei belebten Dingen ein grammatikalisches Geschlecht kennen, aber bei unbelebten Dingen kein grammatikalisches Geschlecht aufweisen, zum Beispiel im Englischen: he, she (belebt bzw. auf Menschen bezogen) und it (universal für Dinge). Es gibt auch viele Sprachen, die (3) nur zwei grammatikalische Geschlechter aufweisen, wie die romanischen Sprachen (Maskulinum und Femininum), wobei sich hier dann die Genuszuordnung häufig vom grammatikalischen Geschlecht im Deutschen unterscheidet. Zum Beispiel: le soleil, el sol (Französisch, Spanisch; „der“ Sonne) – die Sonne (Deutsch).  
  • Artikel: In bestimmten Deklinationsformen treten die Artikel auf, wie sie für andere Geschlechter im Nominativ verwendet werden. Zum Beispiel: (Maskulinum) der Hund – die Hunde; (Femininum) die Mutter – (Ich gebe es) der Mutter.

 


Syntax (Satzlehre)

Auch die Syntax weist einige Besonderheiten und Eigenarten auf, die Deutsch als schwierige Sprache erscheinen lassen.

  • Im Deutschen können sehr komplexe Satzgefüge mit vielen ggf. ineinander verschachtelten Nebensätzen gebildet werden. Zum Beispiel: „Die Seilbahn, die wir, um nicht zu Fuß auf den hohen Berg gehen zu müssen, genutzt haben, fuhr zur Mittagspause, die von 12 bis 15 Uhr dauerte, nicht.“
  • Im Deutschen gibt es das Prinzip der Satzklammer, bei dem das Verb erst als aller letztes Element im Satz erscheint. Beispiel: „Wir haben den ganzen großen Kuchen, der wunderbar mit Obst belegt und mit Schokolade verziert war, ganz alleine aufgegessen.“ (Was denn mit dem Kuchen geschehen ist, ob er verloren wurde, runtergefallen ist, verteilt, verschenkt oder wie in diesem Satz aufgegessen wurde, erfährt man erst ganz am Ende des Satzes. Das macht das Deutsche schwierig, weil man sich den ganzen ersten Teil eines unter Umständen längeren Satzes merken muss, bis die „Auflösung“ dann am Ende erscheint.)
  • Je nach Satzart steht das Verb im Deutschen an unterschiedlichen Stellen. „Das Kind spielt gerne Uno.“ (Hauptsatz, Aussagesatz) - „Spielt das Kind gerne Uno?“ (Hauptsatz, Fragesatz) - „…, weil das Kind gerne Uno spielt.“ (Nebensatz)

 

Semantik/Lexikon (Wortbedeutung und Wortschatz)

  • Die deutsche Sprache zeichnet sich durch einen recht großen Wortschatz aus. Englisch ist die Sprache mit den meisten Wörtern; das Oxford Dictionary of English gibt im Jahr 2014 620.000 Wörter als Alltagswörter an. Darauf folgt dann schon das Deutsche; so gibt das Universalwörterbuch der Dudenredaktion etwa 500.000 Alltagswörter an. Bei den romanischen Sprachen (Italienisch, Spanisch, Französisch) beträgt die Wortanzahl zwischen 300.000 und 400.000, und im Türkischen gibt es etwa 250.000 Wörter.
  • Im Deutschen (und auch im Englischen) können durch Verbindung von zwei Wörtern nahezu beliebig viele „neue“ Wörter gebildet werden (sog. Kompositionen; Nomina Komposita), zum Beispiel: Milchkuh, Milchflasche, Milchschnitte, Milchkaffee, Bananenmilch; Waschtisch, Maltisch, Stehtisch, Beistelltisch, Esstisch. Dabei ist „der Milchkaffee“ etwas anderes als „die Kaffeemilch“, und „das Vogelnest“ etwas anderes als „der Nestvogel“.

  

Pragmatik (Kommunikationsverhalten und Handeln mit Sprache)

Die Herausforderungen im pragmatisch-kommunikativen Bereich ergeben sich für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache durch von der Kultur der Erstsprache abweichende Kommunikationsregeln:

  • Abstand, Nähe/Distanz
  • Körpersprache
  • Lautstärke, Höflichkeitsregeln etc.
  • Interkulturelle Missverständnisse

 

All dies kann und sollte im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung und Sprachförderung berücksichtigt werden: Deutsch ist keine leicht zu erwerbende Sprache und stellt Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben eine große Herausforderung dar. 


(c) Udo Elfert 2021


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