Alltagsintegrierte Sprachbildung
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Spracherwerb: Verwendung der Ich-Form


Kinder verwenden die Ich-Form („Ich spiele…“ „Ich esse“) im Rahmen der Sprachentwicklung zunächst nicht und erwerben die Ich-Form erst recht spät.

Zunächst sprechen die Kinder, wenn sie von sich selbst reden, in der dritten Person: „Ben mit Teddy (s)pielen.“ oder „Anna Eis esse(n) will.“ Erst im Laufe des dritten Lebensjahres (24. – 36. Lebensmonat) verwenden die meisten Kinder die Ich-Form: „Ich (s)piele mit (dem) Teddy“ oder „Ich will (möchte) Eis essen.“


Warum wird die Ich-Form von den Kindern erst so spät erworben?

Der Grund hierfür ist, dass die Ich-Form (genauer: die 1. Person Singular des Personalpronomens) nicht durch Imitation erworben werden kann. – Im Spracherwerb kann fast alles andere außer der Ich-Form durch Imitation erworben werden. Beispiel: Wenn ein Erwachsener auf einen Gegenstand – zum Beispiel einen Teddy – zeigt und sagt: „Da ist ein Teddy,“ das Kind schaut auch auf den Teddy und imitiert bzw. wiederholt: „(Da ist) ein Teddy,“ dann kann das Kind das vielleicht neue Wort „Teddy“ im semantischen Lexikon abspeichern.

Für die Ich-Form gilt dies nicht. Wenn ein Erwachsener beispielsweise sagt: „Ich habe blaue Schuhe an,“ und das Kind imitiert/wiederholt: „Ich (habe) blaue Schuhe (an),“ dann muss dies nicht unbedingt stimmen, weil das Kind vielleicht rote, gelbe oder grüne Schuhe trägt. „Ich“ lässt sich nicht durch Imitation erwerben. – Die Verwendung der Ich-Form setzt voraus, dass das Kind erkennt: „Ich“ meint immer die Person, die es gesagt hat – und das können, je nachdem, wer es gesagt hat, ganz unterschiedliche Personen sein. – ‚Wenn ich „ich“ sage, meine ich mich damit. Und wenn er/sie „ich“ sagt, meint er/sie sich damit.‘ Für die Verwendung der Ich-Form ist daher das Erkennen von Rückbezüglichkeiten (ich ich… mich, er/sie ich… sich) eine notwendige kognitive Voraussetzung. Unter 2-jährige Kinder haben diese Voraussetzung noch nicht.

 

Einfluss der Ich-Form auf die Grammatikentwicklung

Die Verwendung des Wortes „Ich“ führt in der Sprachentwicklung auch zu einer Veränderung in der Grammatik. Vergleichen wir einmal folgende zwei Sätze:

  • Kind, 1;10 Jahre: „Ben mit Teddy (s)pielen.“
  • Kind (Ben), 2;8 Jahre: „Ich (s)piele mit (dem) Teddy.“

Zu beobachten ist hier, dass das Kind mit 2;8 Jahren einerseits das Wort „Ich“ verwendet und andererseits sich das Verb nicht mehr am Ende des Satzes (sog. „Verbendstellung“) befindet, sondern an die zweite Stelle im Aussagesatz gerutscht ist (sog. „Verbzweitstellung“). Dieses Phänomen lässt sich sehr häufig beobachten: Sobald ein Kind von „Ich“ spricht, wenn es sich selber meint, rutscht das Verb vom Ende des Satzes an die zweite Stelle. - Das Verb steht im Deutschen im Aussagesatz regulär an zweiter Stelle. Dies wird als "Verbzweitstellung" bezeichnet. Beispiel: "Heute gehen wir ins Theater." und "Wir gehen heute ins Theater." 


Das Kind kommt also von der Verbendstellung zur Verbzweitstellung. Warum?

Grundlage für dieses Phänomen ist, dass das Kind, sobald es von sich selbst als von „Ich“ spricht, sich im Zuge der weiteren Satzplanung fragt: „Was mache ich denn?“ Und die Antwort auf diese Frage ist: das Verb. („Ich“ – ‚was mache ich?‘ – „(s)piele“ – und dann kommt der Rest: „mit (dem) Teddy“.)

Mit spätestens 3;5 Jahren sollte ein Kind sowohl die Ich-Form verwenden, als auch die Verbzweitstellung umsetzen. (Die Verbzweitstellung mit spätestens 3;5 Jahren ist auch ein Marker und Orientierungspunkt beim Sprachbeobachtungsverfahren BaSiK.) Ist dies mit 3;5 Jahren bei einem Kind noch nicht der Fall, sollte man aufmerksam werden und den Eltern ggf. eine ärztliche bzw. logopädische Abklärung des Sprachstandes empfehlen. Möglicherweise liegen Schwierigkeiten im Rahmen der Ich- und Identitätsentwicklung und/oder der Grammatikentwicklung vor.

 

Wie sollten sich Erwachsene verhalten?

Eltern und auch andere erwachsene Bezugspersonen sprechen im Dialog mit noch sehr jungen Kindern von sich selbst häufig in der dritten Person („Mama macht jetzt dieses,“ „Papa macht jetzt jenes.“) und sprechen auch das Kind in der dritten Person an. („Emma hat den Apfel aufgegessen.“) Dieses Verhalten ist Ausdruck des „intuitiven Elternprogramms/Erwachsenenprogramms“ und es ist auch genau das, was die Kinder in diesem Alter brauchen: Das Kind weiß dann irgendwann: ‚Diese Person ist „Mama“, diese Person ist „Papa“ und ich bin „Emma“. Da die Kinder in diesem Alter kognitiv noch nicht in der Lage sind die Rückbezüglichkeiten, die mit der Verwendung des Wortes „Ich“ verbunden sind, zu erfassen, ist es genau richtig, sowohl von sich selbst als auch vom Kind in der dritten Person zu sprechen.

Es gibt Fälle, in denen haben die Eltern auf die Verwendung der dritten Person verzichtet, mit dem Ergebnis, dass das Kind irgendwann dachte, es würde „du“ heißen und alle anderen (die Eltern) wären „ich“.

Da das Kind mit zunehmendem Alter auch kognitiv in der Lage ist, die Funktion des Wortes „Ich“ zu erfassen und damit es irgendwann auch selber von „ich“ und „du“ sprechen kann, sollten auch die erwachsenen Bezugspersonen mit zunehmendem Alter des Kindes nicht ausschließlich die dritte Person verwenden, sondern mehr und mehr auch erste Person „ich“ und die zweite Person „du“ verwenden


(c) Udo Elfert 2021