Alltagsintegrierte Sprachbildung
Online- und Präsenzseminare Udo Elfert

Baby- und Kleinkindwörter


Viele Kinder verwenden zu Beginn des Spracherwerb nicht die „Erwachsenenwörter“ (fachsprachlich: die Zielwörter; die Wörter der Zielsprache), sie verwenden Baby- und Kleinkindwörter: „Mama“, „Papa“, „Pipi“, „Kaka“, „Hei(j)a“, „Wauwau“.

Diese Wörter sind mitunter ein wenig verpönt, und so lautet die Standardantwort auf ein Kind, das „Wauwau“ sagt: „Genau, das ist ein Hund, und der macht Wauwau.“ – So kann man natürlich auf das Wort „Wauwau“ eines Kindes reagieren, und das ist auch völlig in Ordnung. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle allerdings ein wenig die Scheu vor den Baby- und Kleinkindwörtern nehmen.


Was zeichnet Baby- und Kleinkindwörter aus und warum verwenden Kleinkinder andere Wörter als Erwachsene?

  • Baby- und Kleinkindwörter sind Ausdruck einer „autonomen Kindersprache und somit in dem Alter, in dem sie von den meisten Kindern verwendet werden, völlig altersangemessen.
  • Bei Baby- und Kleinkindwörtern handelt es sich oft um Silbenverdopplungen. Daran erkennt man die noch enge Verbindung dieser Wörter mit der zweiten Lallphase (6. bis 10. Lebensmonat: „bababa“, „mamama“, „dadada“…)
  • Baby- und Kleinkindwörter sind manchmal Lautmalereien (fachsprachlich: onomatopoetische Wörter), zum Beispiel „Wauwau“, „Miau“, „Kikeriki“. Diese Wörter lassen sich von den Kindern leichter erwerben und besser im semantischen Lexikon (im Wortschatz) verankern, weil die Form des Wortes etwas mit dem Inhalt zu tun hat.
  • Baby- und Kleinkindwörter bestehen meistens aus Lauten, die im vorderen Bereich des Mundes – in der vorderen Artikulationszone – gebildet werden und daher für Kinder in diesem Alter leichter zu produzieren sind.
  • Kinder sind in diesem Alter noch nicht zur Begriffs- und Kategorienbildung in der Lage. Diese frühen Wörter lassen sich eher mit einem Wortkorb vergleichen: Das Kind sammelt alle Erfahrungen, die es mit einem bestimmten Objekt gemacht hat, in diesem Korb und fasst all diese Erfahrungen in dem Wort zusammen.

 

Beispiel:

Vielleicht haben Sie auch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Sie von jungen Kindern in der Einrichtung als „Mama“ oder „Papa“ bezeichnet werden. Diese Kinder haben in der Regel keine Bindungsstörung und auch keine Störung im Spracherwerb. Dass auch pädagogische Fachkräfte als „Mama“ oder „Papa“ bezeichnet werden, hat eher damit zu tun, was die Bedeutung dieser Wörter für das Kind ist. „Mama“ und „Papa“ könnten für das betreffende Kind zum Beispiel bedeuten: „Da ist jemand, bei dem fühle ich mich ganz sicher und geborgen. Bei dieser Person kann ich meine Bedürfnisse äußern und bekomme sie erfüllt. Wenn ich Hunger habe, gibt mir die Person etwas zu essen, und wenn ich mir weh getan habe werde ich von dieser Person getröstet.“ All das wird dann in dem Wort „Mama“ bzw. „Papa“ zusammengefasst. – Werden Sie von einem Kind „Mama“ oder „Papa“ genannt, können Sie das meistens einfach als Kompliment auffassen.

 

Entscheidend für den Umgang mit Baby- und Kleinkindwörter im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung ist es nun, dass in dieser Phase für das Kind völlig andere Dinge im Vordergrund stehen als die Frage, ob es von „Wauwau“ oder „Hund“, von „Miau“ oder „Katze“ spricht. Für das Kind steht zunächst im Vordergrund, die grundsätzlichen Funktionen von Sprache zu erkennen und im Hinblick auf Sprache Selbstwirksamkeit zu erfahren. (Die Erkenntnis: Ich sage etwas und bin dadurch in der Lage meine Umwelt (positiv) zu beeinflussen.) Es geht in dieser Phase für das Kind darum, sich beim Sprechen als handelnde Person zu erfahren: Sprechen ist Handeln! (Fachsprachlich: ein „Sprechakt“) 

Ein weiterer grundlegender Entwicklungsschritt in diesem Alter ist das Erkennen der Symbolhaftigkeit von Wörtern. Das Kind erkennt: Jedes Ding hat einen Namen. Wörter stehen stellvertretend für die Dinge. Auch für diesen Erkenntnisschritt ist es irrelevant, ob das Kind beispielsweise von "Wauwau" oder von "Hund" spricht.

 

Für die alltagsintegrierte Sprachbildung bedeutet dies, dass es richtig sein kann, ein Baby- und Kleinkindwort wie „Wauwau“ oder „Miau“ auch als pädagogische Fachkraft zu verwenden. Es kommt auf das Alter des Kindes an und auf den Sprachstand. Bei Kindern mit einer schweren Störung im Spracherwerb können solche Baby- und Kleinkindwörter auch in höherem Alter verwendet werden.

Baby- und Kleinkindwörter können von Erzieher_innen vor allem in solchen Situationen eingesetzt werden, in denen das Kind von sich aus das Wort verwendet und die pädagogische Fachkraft dem Kind durch die Verwendung des Wortes signalisiert: „Du hast etwas gesagt, und ich habe das verstanden. Prima, so funktioniert sprachliche Kommunikation!“

 

Beispiel:

Ein Kind (1;8 Jahre) schaut sich mit einer pädagogischen Fachkraft ein Bilderbuch an. Das Kind entdeckt einen Hund, zeigt auf den Hund und sagt: „Da, Wauwau!“ Die pädagogische Fachkraft sagt daraufhin: „Ja, da ist ja ein Wauwau“. Sie signalisiert dem Kind damit, dass sie es verstanden hat und dass sprachliche Kommunikation so funktioniert. Das Kind erkennt, dass Sprechen Handeln bedeutet und empfindet sich als selbstwirksam. Es fühlt sich bestärkt und motiviert noch mehr zu sagen und den Dialog weiterzuführen. – Die pädagogische Fachkraft ergänzt nach „Da ist ja ein Wauwau“: „Da ist ja ein Hund.“ Sie bietet dem Kind damit auch das Erwachsenenwort an.

 

In den meisten anderen Situationen sollte das Erwachsenenwort (das Wort der Zielsprache) – im obigen Beispiel das Wort „Hund“ - verwendet werden, damit das Kind, sobald es zur Kategorien- und Begriffsbildung in der Lage ist, das Zielwort auch selbst verwendet.

  


(c) Udo Elfert 2021