Late-Talker (Spätsprecher)
Late-Talker lässt sich übersetzen mit Spätsprecher. Es handelt sich bei Late-Talker-Kindern daher um Kinder, die spät zu sprechen beginnen. "Late-Talker" ist keine medizinische Diagnose und deshalb auch keine Störung, sondern zunächst einmal nur eine Auffälligkeit.
Dies wird auch durch die Tatsache deutlich, dass immerhin 10-15% aller Kinder Late-Talker sind.
Kriterien
Als grober Richtwert gelten 50 verwendete (gesprochene) Wörter in einem Alter von 24 Monaten: Spricht ein Kind zum 2. Geburtstag weniger als 50 Wörter, so zählt es als Late-Talker-Kind. Auch ein zweieinhalb-jähriges Kind mit weniger als 200 Wörtern im aktiven Wortschatz gilt als Late-Talker.
Ein weiterer Hinweis ist die syntaktische Komplexität: Late-Talker produzieren mit 24 Monaten meist noch keine Zweiwortsätze, sondern sprechen in Einwortsätzen.
Entwicklung des Sprachstandes bei Late-Talker-Kindern bis zum 3. Geburtstag
Im Laufe des 3. Lebensjahres kann von Late-Talkern gesprochen werden. Spätestens zum 3. Geburtstag fallen die Kinder in eine von den drei folgenden Gruppen:
- Aufholer („Late-Bloomer“): Das Kind hat den Sprachrückstand bis zum 3. Geburtstag aufgeholt. Der Sprachstand entspricht im Wesentlichen demjenigen eines Kindes ohne verzögerte Sprachentwicklung.
- Es liegen Auffälligkeiten vor: Zum 3. Geburtstag zeigt das Kind weiterhin Auffälligkeiten in isolierten Sprachbereichen. Ob eine Störung vorliegt oder ob mit einer logopädischen Therapie noch gewartet werden sollte, muss durch eine eingehende medizinisch-logopädische Diagnostik geklärt werden.
- Spezifische Sprachentwicklungsstörung (sSES): Eine spezifische Sprachentwicklungsstörung ist ein schwerwiegendes Störungsbild. Es ist nicht nur eine sprachliche Ebene betroffen, sondern viele bzw. alle Sprachbereiche zeigen Defizite. Kinder mit einer sSES benötigen in jedem Fall logopädische Therapie, auch schon zum 3. Geburtstag und teilweise sogar noch früher. Ob eine spezifische Sprachentwicklungsstörung vorliegt, muss ebenfalls durch eine medizinisch-logopädische Diagnostik ermittelt werden.
Alle drei Gruppen – Aufholer, sowie Kinder mit Auffälligkeiten und solche mit einer sSES - umfassen jeweils etwa ein Drittel der (ehemaligen) Late-Talker.
Feststellung von Late-Talker-Kindern
- Zählen von Wörtern im aktiven Wortschatz: Hierbei wird gezählt, wie viele Wörter das betreffende Kind im aktiven Wortschatz hat. Sind zum zweiten Geburtstag es weniger als 50 Wörter, zählt das Kind als Late-Talker. – Allerdings ist es gar nicht so leicht, genau zu bestimmen, wie viele Wörter sich bei einem Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt im aktiven Wortschatz befinden: Manche Wörter verwenden Kinder nur in bestimmten Kontexten, zum Beispiel nur in der Kita oder nur zu Hause. Manche Wörter sind zwar im aktiven Wortschatz, allerdings verwendet das Kind diese Wörter vielleicht recht selten, so dass sie „übersehen“ werden. Außerdem stellt sich manchmal die Frage, welche Wörter denn „mitgezählt“ werden. Wörter der Zielsprache – Erwachsenenwörter – werden mitgezählt und zwar unabhängig von der Aussprache. Baby- und Kleinkindwörter wie „Mama“, „Papa“, „Pipi“, „Wauwau“ werden ebenfalls mitgezählt. Schwieriger wird es schon bei Lautmalereien wie „Kikeriki“ und „Miau“, die in den meisten Anleitungen auch zur Anzahl von Wörtern im aktiven Wortschatz beitragen. Strenggenommen müssten auch nichtlautsprachliche Zeichen wie Baby- und Kleinkindgebärden ebenfalls mitgezählt werden, weil sie für die Kinder in diesem Alter die Funktion von gesprochenen Wörtern haben.
- Eine sehr viel einfachere Möglichkeit ist die Beobachtung der syntaktischen Komplexität im Output des Kindes. Übersetzt heißt das, dass man einfach schaut, ob das Kind zum 2. Geburtstag schon Zweiwortsätze produziert oder noch nicht. Zweiwortsätze sind aber nur ein zusätzliches Kriterium für Spätsprecher und reichen als alleiniges Merkmal für Spätsprecher nicht aus.
- Sprachbeurteilung durch Eltern – Kurztest (SBE-2-KT): Mit Hilfe dieses kostenlosen, einfachen und an die Eltern gerichteten Kurztests kann sehr schnell und einfach festgestellt werden, ob es sich bei einem Kind um ein Late-Talker-Kind handelt oder nicht.
- SETK-2: Dies ist ein recht umfangreicher und kostenintensiver Einzeltest, der sich im Wesentlichen an logopädische Praxen wendet. Mit Hilfe des SETK-2 kann ebenfalls festgestellt werden, ob bei einem Kind zum 2. Geburtstag eine Verzögerung im Spracherwerb vorliegt oder nicht.
Ein später Sprechbeginn lässt sich bereits zwischen dem 14. und dem 24. Lebensmonat feststellen. Allerdings machen viele Kinder in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres noch einen großen Sprung in ihrer Sprachentwicklung. Daher erscheint die Feststellung eines späten Sprechbeginns als Risikofaktor für Verzögerungen und Störungen der Sprachentwicklung erst ab kurz vor dem zweiten Geburtstag als sinnvoll.
Abschätzung der weiteren Sprachentwicklung im 3. Lebensjahr und darüber hinaus
Um die Schwere der verzögerten Sprachentwicklung einschätzen zu können und auch, um den weiteren Verlauf des Spracherwerbs zu prognostizieren, haben sich folgende Fragestellungen bewährt:
- Allgemeines Kommunikationsverhalten: Nimmt das Kind Blickkontakt auf? Hat das Kind eine Motivation zu kommunizieren? Kommuniziert das Kind über andere „Kanäle“? Setzt das Kind Gestik und Mimik, um zu kommunizieren?
- Gibt es einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus (= „geteilte Aufmerksamkeit“ oder auch sog. „joint attention“)
- Setzt das Kind den „triangulären Blickkontakt“ ein?
- Ist schon ein Symbolverständnis vorhanden? Hat das Kind schon erkannt, dass Wörter Symbole für Dinge sein können?
- Wie sieht die Spielentwicklung des Kindes aus? Kennt das Kind schon das Symbolspiel, oder ist das Kind noch ganz beim Funktionsspiel?
- Hat das Kind schon die grundlegenden Funktionen von Sprache erkannt?
- Ist Sprechfreude vorhanden?
- Wie ist es um den passiven Wortschatz und das Sprachverständnis bestellt?
Was folgt aus der Feststellung „Late-Talker“?
Irgendetwas sollte aus der Feststellung, dass ein Kind ein Late-Talker ist, folgen. Sonst hätte man dem Kind ja nur einen Stempel gegeben (fachsprachlich: Man hat das Kind „markiert“.)
Mögliche Konsequenzen können sein:
Sprachbildungsstrategien und sprachförderliches Verhalten bei Late-Talkern
Bei Spätsprechern geht es auch darum, die grundsätzliche Motivation sich zu äußern zu erhöhen und das Kind dabei zu unterstützen, die eigentlichen Funktionen von Sprache zu erkennen. Zum Tragen kommen daher hier vor allem die ganz grundlegenden und basalen Sprachbildungsstrategien wie Blickkontakt, Turn-Taking, Respond, Abwarten, freundliche Mimik, sanfte Stimme, Erkennen und Nutzen des triangulären Blickkontakts und Auf-Augenhöhe-Sprechen. Damit das Kind neue Wörter in den Wortschatz aufnehmen kann, sind auch das Benennen und das Prinzip der Wiederholung besonders wichtig.
(c) Udo Elfert 2021