Die verschiedenen linguistischen Ebenen werden im Zusammenhang mit alltagsintegrierter Sprachbildung, alltagsintegrierter und additiver Sprachförderung und Sprachbeobachtungsverfahren oft genannt. So findet der Spracherwerb immer auf unterschiedlichen Ebenen statt (auf der phonetisch-phonologischen Ebene, auf der morphologischen Ebene, auf der syntaktischen Ebene usw.), in Sprachbeobachtungsverfahren (wie BaSiK) findet die Beobachtung in jeweils unterschiedlichen Sprachbereichen statt (phonetisch-phonologische Kompetenzen, morphologisch-syntaktische Kompetenzen usw.), gezielte spezifische Sprachförderung orientiert sich an den linguistischen Ebenen, Störungen und Auffälligkeiten können in den unterschiedlichen Sprachbereichen und auf den jeweiligen linguistischen Ebenen festgestellt werden (phonetische Störungen, phonologische Auffälligkeiten und Störungen, morphologisch-syntaktische Störungen, semantisch-lexikalische Auffälligkeiten und Störungen) und die Sprachstandserfassung orientiert sich ebenfalls an diesen linguistischen Ebenen.
Sowohl für die alltagsintegrierte Sprachbildung als auch für die additive (zusätzliche) Sprachförderung ist es von großem Vorteil, sich etwas in diesen linguistischen Ebenen (Sprachbereichen) auszukennen und grundsätzlich verstanden zu haben, womit sie sich beschäftigen.
Schon an anderer Stelle wurde diese Frage gestellt, nämlich als es um das Eisberg-Modell von Sprache ging. Das Eisberg-Modell bezog die Frage „Was ist Sprache?“ in erster Linie auf die Funktionen von Sprache, zumindest sind die Funktionen von Sprache Aspekte, die bei der Frage, was Sprache denn eigentlich sei, häufig unbeachtet bleiben – im Eisberg-Modell: sich unter der Wasseroberfläche befinden.
Die Frage „Was ist Sprache?“ lässt sich auch beantworten im Hinblick auf die formalen Aspekte von Sprache. Man könnte auch fragen: „Aus was besteht Sprache eigentlich?“ – Die Antwort ist häufig: „Aus Sprachlauten.“ Dies gilt zwar für die Lautsprache – die Lautsprache besteht, wie der Name schon sagt, aus: Sprachlauten. Aber es gibt noch andere Formen von Sprache, und diese bestehen nicht aus Sprachlauten – die Schriftsprache und die Gebärdensprache.
Sprachlaute sind daher keine obligatorisch in Sprache vorkommenden Elemente. Es gibt aber ein Element, das in jeder Sprachform (Lautsprache, Schriftsprache und Gebärdensprache) vorhanden ist, und das ist: das Wort. – Wörter gibt es in der Lautsprache, in der Schriftsprache und in der Gebärdensprache. Wir können also sagen: ‚Sprache besteht aus Wörtern.‘
Gut, Sprache besteht aus Wörtern. Das Vorhandensein von Wörtern ist zwar eine notwendige Voraussetzung für Sprache, aber keine hinreichende. Wir benötigen für Sprache noch ein weiteres notwendiges Element und das sind: Regeln. – Beispiel: Nehmen Sie einmal folgende zwei Sätze: „Der Hund beißt den Mann,“ und „Der Mann beißt den Hund.“ Diese beiden Sätze haben die gleichen Wörter. Der Bedeutungsunterschied ergibt sich aus der Reihenfolge der Wörter. Hier wirken also bestimmte Regeln, in diesem Fall sind es syntaktische Regeln.
Man kann also die Frage danach, woraus Sprache denn eigentlich bestehe, auf die Formel bringen:
Wie kommen wir von der Formel „Sprache = Wörter + Regeln“ auf die unterschiedlichen Sprachbereiche? – Wir benötigen eine Lupe.
Stellen Sie sich vor, wir betrachten die Lautsprache (die „gesprochene“ Sprache) – um die geht es in der alltagsintegrierten Sprachbildung im Wesentlichen – und wir schauen uns die Lautsprache mit einer Lupe an, die eine sehr starke Vergrößerung hat. Dann bekommen wir ganz kleine Einheiten zu sehen (bzw. zu hören). Die kleinsten Einheiten von Lautsprache sind die Sprachlaute. – Nehmen wir eine Lupe mit einer etwas schwächeren Vergrößerung, dann sind es nicht mehr die Sprachlaute, die beobachtet und beschrieben werden können, sondern größere Einheiten: Silben und Wortbausteine. - Eine Lupe mit einer noch schwächeren Vergrößerung lässt uns noch größere Elemente wahrnehmen: Wörter. - Lassen wir die Lupe weg, können Satzteile und ganze Sätze beobachtet und beschrieben werden, und entfernen wir uns etwas von der gesprochen Sprache und sehen das Große und Ganze, dann können ganze Texte beobachtet und beschrieben werden.
Je nach Vergrößerung unserer „Sprach-Lupe“ können also entweder Laute, Wortbausteine, Wörter, Satzteile und Sätze oder ganze Texte beobachtet und beschrieben werden. Und genaue diese Elemente – Laute, Wortbausteine, Wörter, Satzteile und Sätze, Texte – sind die Untersuchungsgegenstände der jeweiligen linguistischen Ebenen, also die Elemente, mit denen sich die einzelnen linguistischen Ebenen beschäftigen.
Es gibt sieben verschiedene linguistische Ebenen. Eine achte Ebene wurde noch ergänzt, obwohl sie strenggenommen keine „linguistische“ Ebene ist:
Der Untersuchungsgegenstand der Phonetik sind die „kleinsten“ Einheiten der Lautsprache, nämlich die Sprachlaute. Die Phonetik kann in drei Teilgebiete unterteilt werden: in die akustische Phonetik, die auditive Phonetik und die artikulatorische Phonetik.
Die artikulatorische Phonetik stellt Fragen – und gibt Antworten darauf – wie: „Wie werden die einzelnen Sprachlaute gebildet?“ „Welche Formen von artikulatorischen Fehlbildungen gibt es?“ „Welche anatomischen Bedingungen (Vorhandensein von Lippen, Zähnen, Zunge, Gaumen etc.) müssen erfüllt sein, damit die einzelnen Laute überhaupt korrekt gebildet werden können?“ „Welche Unterschiede gibt es in den einzelnen Sprachen?“ „Wie kann die Produktion von fehlgebildeten Lauten bei phonetischen Störungen angebahnt werden?“ „Welche phonetischen Störungen gibt es? (Zum Beispiel: Lispeln/Sigmatismus, Schetismus, multiple Lateralität, multiple Interdentalität usw.)“
Die häufigste phonetische Auffälligkeit bzw. Störung ist übrigens das Lispeln (fachsprachlich: der Sigmatismus). Hier werden die s-Laute nicht richtig gebildet, nicht richtig produziert, weil die Zungenspitze bei der Produktion dieser Laute zu weit vorne, also an oder zwischen den Zähnen liegt. Das Lispeln ist also eine Auffälligkeit/Störung, welche mithilfe der artikulatorischen Phonetik genau beschrieben werden kann.
Auch die Phonologie beschäftigt sich mit den Sprachlauten (das Phon = der Sprachlaut). Allerdings geht es in der Phonologie nicht um die Produktion (Bildung) von Sprachlauten, sondern um die Verwendung von Sprachlauten.
Der Unterschied zwischen „Produktion von Sprachlauten“ und „Verwendung von Sprachlauten“ erschließt sich möglicherweise nicht sofort… Die Phonologie stellt sich nicht (wie die Phonetik) die Frage, ob und wie die einzelnen Sprachlaute produziert (gebildet) werden, sondern ob und wie die einzelnen Sprachlaute verwendet werden.
Womit sich die Phonologie beschäftigt, kann gut nachvollzogen werden, wenn man sich die sog. „phonologischen Prozesse“ anschaut. Phonologische Prozesse sind kindliche Vereinfachungen der Erwachsenensprache, die physiologisch (natürlicherweise) in der Sprachentwicklung auftreten. Dabei werden Sprachlaute entweder nicht verwendet (statt „Blume“ wird „Bume“ gesagt, statt „Banane“ „Nane“), bestimmte Sprachlaute durch andere Sprachlaute ersetzt (statt „Käse“ wird „Täse“ gesagt, statt „drei“ „grei“) oder Sprachlaute werden innerhalb eines Wortes ausgetauscht (statt „Lasagne“ wird „Salagne“ gesagt, statt „Seilbahn“ „Beilsahn“). Wenn ein Kind zum Beispiel statt „Käse“ „Täse“ sagt, heißt das nicht, dass das Kind den k-Laut nicht produzieren (eine Frage der Phonetik) kann. Es bedeutet zunächst nur, dass das Kind den Laut k-Laut nicht verwendet – eine Frage der Phonologie und daher ein phonologischer Prozess.
Beim Lispeln ist es umgekehrt: Hier wird zwar der richtige Laut verwendet (Phonologie), dieser wird aber „falsch“ produziert; deshalb ist das Lispeln eine phonetische und keine phonologische Auffälligkeit bzw. Störung.
Halten wir an dieser Stelle einmal fest:
Phonetik und Phonologie werden zusammenfassend übrigens als „Aussprache“ bezeichnet. Eine Aussprachestörung (sog. „Dyslalie“) kann also die Phonetik (Lautproduktion) und/oder die Phonologie (Lautverwendung) betreffen.
Die Morphologie beschäftigt sich mit den Formen von Wörtern. Was soll das heißen?
Das Wort <Tisch> zum Beispiel gibt es in den Formen <Tisch> (Nom. Sing., „Da steht ein Tisch.“, <Tische> (Nom. Plur., „Da stehen viele Tische.“, <Tischen> (Dat. Plur., „Da sitzen viele Leute an den Tischen.“ und <Tisches> (Gen. Sing., „Das ist die Platte des Tisches.“). Je nach Beugung des Wortes taucht das Wort <Tisch> in unterschiedlichen Formen auf.
Dies gibt es selbstverständlich nicht nur bei Nomen/Substantiven (im Hinblick auf Numerus und Kasus), sondern auch bei Verben im Hinblick auf die Person, den Numerus und die Zeitform: Das Verb <gehen> gibt es unter anderem in den Formen <gehe> („Ich gehe.“), <gehst> („Du gehst.“), <gehen> („Wir gehen.“), <gingst> („Du gingst.“), <gingen> („Wir gingen.“) und einigen weiteren.
Sagt ein Kind beispielsweise: „Gestern sind wir zum Bauernhof gegeht/gegingt/gegangt,“ dann handelt es sich um eine morphologische Auffälligkeit, genauso wie wenn ein Kind sagt: „Ich habe drei Onkels.“
Die Syntax befasst sich vereinfacht gesagt mit dem Vorhandensein und der Reihenfolge von Wörtern in Sätzen. Deshalb wird die Syntax umgangssprachlich manchmal auch als „Satzlehre“ bezeichnet.
Der Satz: „Gestern wir zum Bauernhof gegangen sind,“ ist syntaktisch auffällig. (Hier liegt übrigens die sog. „Verbendstellung“ vor, wie sie in der physiologischen Sprachentwicklung fast aller Kinder zu finden ist.)
Der Satz: „Gestern wir Bauernhof gegangen,“ ist syntaktisch unvollständig, weil notwendige Wörter bzw. Satzglieder fehlen.
Eigentlich handelt es sich beim Sprachbereich „Semantik/Lexikon“ um zwei unterschiedliche linguistische Ebenen.
Semantik: Die Semantik beschäftigt sich mit der Bedeutung von Wörtern. Die Semantik stellt sich Fragen – und beantwortet diese auch – wie: „Was ist die Bedeutung des Wortes ‚Hund‘?“ „Was ist die Bedeutung des Wortes ‚Wauwau‘ für ein 1;5 Jahre altes Kind?“ „Was bedeuten Baby- und Kleinkindwörter für die betreffenden Kinder?“ „Was unterscheidet die Wörter ‚See‘ und ‚Teich‘ hinsichtlich ihrer Bedeutung?“ (Es ist übrigens nicht die Größe. Ein See ist natürlich, ein Teich künstlich.) „Gibt es Bedeutungshierarchien? – Oberbegriffe, Unterbegriffe, Antonyme (Gegenwörter), Synonyme… „Wie sind die Wörter hinsichtlich ihrer Bedeutung organisiert? Gibt es ein Bedeutungsnetzwerk?“
Lexikon: Das Lexikon kann auch mit „Wortschatz“ übersetzt werden. Hier kann der aktive vom passiven Wortschatz unterschieden werden. Der aktive Wortschatz umfasst diejenigen Wörter, welche ein Kind (oder auch ein Erwachsener) aktiv verwendet, also produziert bzw. spricht. Der passive Wortschatz umfasst diejenigen Wörter, die ein Kind versteht und nicht notwendigerweise auch spricht. – Der passive Wortschatz ist zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung eines Kindes größer als der aktive Wortschatz.
Die beiden linguistischen Ebenen ‚Semantik‘ und ‚Lexikon‘ sind aufs Engste miteinander verbunden. Deshalb werden sie häufig als eine linguistische Ebene – Semantik/Lexikon – angesehen.
Was ist eigentlich ein Text? – Ein Text muss nicht unbedingt schriftlich formuliert sein. Es gibt auch mündliche Texte. (Daher der Begriff „zutexten“.) Ein Text liegt dann vor, wenn sich zwei oder mehr Sätze aufeinander beziehen und einzelne Sätze innerhalb dieses Textes nicht vollständig ohne andere Sätze des Textes verständlich wären. - Beispiel: „Gestern waren wir im Zoo. Dort gab es viele Löwen.“ Der zweite Satz „Dort gab es viele Löwen.“ Ist nicht vollständig ohne den ersten Satz verständlich. Man muss einen Rückbezug von „Dort“ zum ersten Satz „… im Zoo“ machen, um den zweiten Satz zu verstehen. Ein kurzer Text, aber ein Text.
Die Textlinguistik beschäftigt sich damit, wie Texte aufgebaut sind und welcher Fähigkeiten es bedarf, um Texte a) zu verstehen und b) zu produzieren.
Auch für Kinder geht es im Rahmen ihrer Sprachentwicklung irgendwann darum, nicht nur einzelne Sätze, sondern auch Texte (kurze Berichte vom Wochenende im Morgenkreis, kurze oder längere Geschichten, Märchen etc.) zu verstehen und auch selbst zu produzieren.
Der Pragmatik geht es darum, zu untersuchen, wie mit Sprache gehandelt wird. Etwas vereinfacht gesagt befasst sich die Pragmatik mit dem Kommunikationsverhalten. Dabei geht es sowohl um grundlegende Kommunikationsregeln wie Turn-Taking, Blickkontakt und Ausreden-Lassen als auch um Themen wie Ironie, Wortwitz und sprachliche Ambiguitäten (sprachliche Mehrdeutigkeiten) sowie um Fragestellungen wie: „Was genau meint eigentlich jemand, wenn er/sie … sagt und wie wird das von dem Empfänger aufgefasst?“ Die Pragmatik fasst das tatsächliche Sprechen als Handlung auf und spricht von sog. „Sprechakten“. Wer spricht, handelt! Die Pragmatik ist im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung ein wesentlicher Bereich, weil zum Beispiel viele Sprachbildungsstrategien auf Fragestellungen der Pragmatik zurückgreifen und das sprechende Kind als handelndes Kind verstanden wird.
Die Prosodie ist eigentlich kein „Sprachbereich“, keine eigenständige linguistische Ebene. Die Prosodie umfasst alle Eigenschaften einer Lautsprache, die nicht an die Laute selber gebunden sind. Dazu gehören: Pausen, Wort- und Satzakzent (Betonung), Intonation (Wort- und Satzmelodie), Rhythmus und Sprechtempo. Da die Prosodie aber aufs Engste mit dem Erwerb der Lautsprache verbunden ist und für die Sprachentwicklung eine große Rolle spielt, soll dieser Bereich hier im Rahmen der linguistischen Ebenen bzw. Sprachbereiche zumindest erwähnt werden.
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