An dieser Stelle werde ich mich nicht zur epidemiologischen Funktion eines Mund-Nasenschutzes äußern. Als Fachperson (Logopäde, Multiplikator Sprachbildung) ist es mir aber wichtig, etwas zu den Folgen des Tragens eines Mund-Nasenschutzes zu sagen.
Die Infektionsprophylaxe ist sicherlich eine wichtige Funktion eines Mund-Nasen-Schutzes. Das Tragen einer "Maske" hat allerdings vor allem für Kinder auch negative Auswirkungen auf die Entwicklung:
Folgen für den Spracherwerb
Das Tragen eines Mund-Nasenschutzes ist im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung kritisch zu hinterfragen.
These I
Tragen wichtige Bezugspersonen – zum Beispiel pädagogische Fachkräfte – ständig/oft einen Mund-Nasenschutz, wird der Spracherwerb von Kindern verzögert.
Hinweis 1:
Vor allem zu Beginn des Sprachwerbs hören Kinder die Wörter nicht nur, sie sehen auch die Wörter und können die Sprachlaute anhand des Mundbildes identifizieren.
Bei Kindern zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat kann man beobachten, dass sie im Dialog dem Gesprächspartner weniger in die Augen schauen als vielmehr auf den Mund. Dies hat die Funktion, die einzelnen Sprachlaute genau zu sehen und zu erkennen, wie die Sprachlaute gebildet werden.
Hinweis 2:
Die wichtige Funktion, die das Sehen der Sprachlaute anhand des Mundbildes hat, wird dadurch deutlich, dass die ersten Wörter von Kinder vor allem aus Lauten bestehen, die weit vorne im Mund – in der vorderen Artikulationszone – gebildet werden, die also „gesehen“ werden können: Mama, Papa, Ba(ll), Puppe, Teddy, Auto usw.
Hinweis 3:
Bei Kindern mit starker Beeinträchtigung des Sehsinns ist der Spracherwerb häufig verzögert, vor allem was die Aussprache anbelangt. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass die Kinder die vom Gesprächspartner verwendeten Laute nur hören und nicht sehen können.
Hinweis 4:
Es gibt den sog. McGurk-Effekt. Dieser beschreibt, dass nicht die Sprachlaute gehört werden, die es wirklich zu hören gibt, sondern diejenigen, die gesehen werden. Der McGurk-Effekt ist ein schönes Beispiel dafür, dass der Sehsinn den Hörsinn dominiert.
Sie können das anhand des folgenden Videos (auf Englisch) selbst erfahren.
Tragen wichtige Bezugspersonen – zum Beispiel Erzieher_innen – häufig eine Maske, ist davon auszugehen, dass der Spracherwerb eingeschränkt wird.
Kinder, die in der Kita Deutsch als Zweitsprache erwerben, sind beim Spracherwerb auf das Mundbild angewiesen.
Aber auch monolingual (einsprachig) deutschsprachigen Kinder wird der Schriftspracherwerb in der Schule erleichtert, wenn sie das Mundbild sehen können. Deshalb ist das Tragen von undurchsichtigen Masken auch bei Grundschullehrkräften im Hinblick auf den Sprach- und Schriftspracherwerb kritisch zu hinterfragen.
Folgen für die sozial-emotionale Entwicklung
"Unter der Maske bleiben wir einander fremd." (Tilmann Allert, Soziologe)
These II
Durch das Tragen eines undurchsichtigen Mund-Nasenschutzes wird die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern erschwert.
Nach der Geburt stellt die Körpersprache für Kinder zunächst die einzige Möglichkeit dar, zu erkennen, wie es jemand anderem geht, was für Gefühle jemand zeigt, wie jemand zu einer Sache steht oder welche Ziele er verfolgt.
Das Lesen und Interpretieren von Körpersprache – und hier ist vor allem die Mimik zu nennen – ist uns Menschen angeboren. Je weniger ein Kind die Sprache beherrscht, desto mehr ist es auf die Körpersprache angewiesen.
Außerdem schauen wir Menschen immer darauf, inwiefern der Inhalt des Gesagten (die gesprochenen Wörter) mit der Form des Gesagten (die Körpersprache und hier vor allem die Mimik) übereinstimmt. Wir überprüfen die Kongruenz. Erscheint uns eine Aussage inkongruent, passen also Inhalt (die Wörter) und Form (die Mimik) nicht zusammen, dann sind wir irritiert und wir begeben uns auf die Suche nach der Ursache für die Irritation. (Sie kennen vielleicht solche Situationen: Person A: „Kannst du heute vielleicht das Geschirr abspülen?“ Person B mit genervtem Gesichtsausdruck: „Ja, gerne.“)
Wird jetzt von wichtigen Bezugspersonen – pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften – eine Maske getragen, läuft die Überprüfung der Kongruenz ins Leere, weil kein oder kaum Mimik zu sehen ist, mit der die Kongruenz zwischen Wörtern und Mimik abgeglichen werden könnte. Die Irritation tritt in solchen Situationen wie bei direkten Inkongruenzen ebenfalls auf.
Tragen in der Grundschule nicht nur die Lehrkräfte eine Maske, sondern auch die Kinder, können leichte Konnotationen (Nebenbedeutungen des Gesagten) von den Kindern nicht erschlossen werden. Anders gesagt: Die Kinder können in vielen Fällen nicht erschließen, was jemand anderes nicht nur gesagt, sondern vor allem auch gemeint hat. Es kommt häufig zu Missverständnissen und daraus resultierend öfter zu Streit, Auseinandersetzungen und aggressivem Verhalten.
Mir wurde auch schon berichtet, dass Kinder, die in der Corona-Zeit in eine Einrichtung gekommen sind und die pädagogischen Fachkräfte nur mit Maske kennengelernt haben, erschrocken waren oder zu weinen begonnen haben, wenn sie die Erzieherin einmal ohne Maske gesehen haben.
Eine Möglichkeit, welche die negativen Folgen eines Mund-Nasenschutzes zumindest etwas abmildert, ist das Tragen von transparenten Masken. Bei diesen sind die Mimik und das Mundbild beim Träger zu sehen.
Von einigen pädagogischen Fachkräften wird berichtet, dass es beim Einsatz der transparenten Masken zur Bildung von Kodenswasser kommt oder der Mund-Nasen-Schutz beschlägt.
Die Schweizer Firma Empa hat transparente medizinische Einwegmasken für Chirurgen und medizinisches Personal entwickelt. Bei diesen sind die Mimik und das Mundbild zu sehen. Allerdings scheint sich der Kauf/Bezug dieser Masken für nicht-medizinisches Personal etwas schwierig zu gestalten.
Das Unternehmen LeanMask hat eine transparente FFP2-Masken entwickelt. Auch hier sind die Mimik und das Mundbild zu sehen. Ausgetauscht werden müssen die (preiswerten) Filter, die Maske selbst ist wiederverwendbar.
(c) Udo Elfert 2021