Alltagsintegrierte Sprachbildung
Online- und Präsenzseminare Udo Elfert

Nominaler und expressiver Spracherwerbsstil


 

Es gibt zwei verschiedene Spracherwerbsstile:

  1. Nominaler Spracherwerbsstil
  2. Expressiver Spracherwerbstil

 

Nominaler Spracherwerbsstil

Der nominale Spracherwerbsstil wird auch als referentieller Spracherwerbsstil bezeichnet. Der nominale Spracherwerbsstil entspricht dem Spracherwerb, wie er allgemein bekannt ist und wie der physiologische Spracherwerb im Allgemeinen beschrieben wird:

  • Die ersten Wörter sind überwiegend Nomen – daher auch: „nominaler“ Spracherwerbsstil: Mama, Papa, Ball, Puppe, Teddy, Auto…
  • Die ersten Wörter werden um den ersten Geburtstag herum produziert.
  • Zunächst Einwortsätze, ab dem 18. Lebensmonat Zweiwortsätze, später 3- und Mehrwortsätze.
  • Mit 18 (bis 24) Monaten: Symbolverständnis (für Wörter) und Wortschatzexplosion.


Etwa 95% aller Kinder zeigen den nominalen Spracherwerbsstil

 

Beim nominalen Spracherwerbsstil gibt es die Untergruppe der „Sammler“. Damit werden Kinder bezeichnet, deren Spracherwerb auf rezeptiver Ebene, also auf der Ebene des Wort- und Sprachverständnisses altersgemäß ist, die aber (noch) nicht oder sehr wenig sprechen. Die Kinder verstehen sprachlich also alles, was andere Kinder in dem Alter auch verstehen, zeigen aber kaum Sprachproduktivität.

Weil bei der Frage, ob ein Kind ein Late-Talker ist, meistens ausschließlich die sprachproduktiven Kompetenzen (genauer: der aktive Wortschatz) untersucht wird, werden Kinder, die zur Untergruppe der Sammler zählen, meist als Late-Talker identifiziert.

Wenn Kinder im Rahmen des nominalen Spracherwerbsstils zunächst „sammeln“, stellt dies keinen Hinweis auf eine Störung dar.

Zuweilen wird das Sammler-Phänomen auch als eigenständiger Spracherwerbsstil bezeichnet: "abwartender Spracherwerbsstil".

  


Expressiver Spracherwerbsstil

Der expressive Spracherwerbsstil tritt bei etwa 5% aller Kinder auf.

Da er recht ungewöhnlich und selten ist, wird er manchmal als Störung interpretiert, was er aber eindeutig nicht ist. Es handelt sich hierbei einfach um einen anderen Spracherwerbsstil, der aber genau so zum Spracherwerb führt wie der nominale Spracherwerbsstil.

 

Der expressive Spracherwerbsstil ist gekennzeichnet durch:

  • einen deutlichen Sprechrhythmus und eine deutliche Prosodie
  • große Sprechfreude und einen hohen Output (Die Kinder sprechen gerne und viel.)
  • kein einziges oder wenig verständliche Wörter (Es hört sich manchmal an wie eine Fantasiesprache.)
  • einen meist deutlichen Einsatz von nonverbalen Elementen (Körpersprache), also Gestik und Mimik

 Im Laufe der Zeit kommen dann mehr und mehr verständliche Wörter hinzu.

Bis zum 3. Geburtstag sollten Kinder mit einem expressiven Spracherwerbsstil im Wesentlichen so verständlich sein, wie Kinder mit einem nominalen Spracherwerbsstil. Ist ein Kind mit expressivem Spracherwerbsstil zum 3. Geburtstag noch nicht zu verstehen und lässt sich der grundsätzliche Inhalt des vom Kind Gesagten für Außenstehende nicht erschließen, dann sollte der Sprachstand des Kindes einmal medizinisch/logopädisch überprüft werden.

 

Interessant ist, dass bei beiden Spracherwerbsstilen ganz ähnliche Kompetenzen eingesetzt werden.


Nominaler Spracherwerbsstil:

  • Das Gehör spielt eine immer größere Rolle. (Dies beginnt in der zweiten Lallphase und setzt sich im Laufe der Sprachentwicklung fort.)
  • Die Kinder hören genau auf das, was sie von den Bezugspersonen hören können.
  • Die Kinder isolieren einzelne Wörter aus dem Lautstrom (Schlüsselwortstrategie), und beginnen, diese Wörter zu imitieren.

 

Expressiver Spracherwerbssstil:

  • Das Gehör spielt eine immer größere Rolle.
  • Die Kinder hören genau auf das, was sie von den Bezugspersonen hören können.
  • Die Kinder imitieren den Sprechrhythmus und die Sprechmelodie, imitieren also die Prosodie.

 

Auch wenn sich der nominale Spracherwerbsstil und der expressive Spracherwerbsstil ganz unterschiedlich anhören, unterscheiden sie sich im Wesentlichen nur durch die Art der imitierten Elemente: Beim nominalen Spracherwerbsstil sind es einzelne Wörter und beim expressiven Spracherwerbsstil sind es größere Einheiten, nämlich der Rhythmus und die Melodie.

 

Das folgende Video zeigt ein („englischsprachiges“) Kind mit einem expressiven Spracherwerbsstil. Der Output ist sehr beeindruckend, nicht in jedem Fall zeigt sich der expressive Spracherwerbsstil so deutlich.

Beachten Sie bitte, dass bei 0:33 ein verständliches Wort zu hören ist: „banana“

  



  












Hinweise für die Alltagsintegrierte Sprachbildung und den Umgang mit Kindern, die einen expressiven Spracherwerbsstil zeigen:

  • Fragen Sie nicht allzu oft nach, wenn sie das Kind nicht verstanden haben.
  • Den Kindern geht es vor allem um die Freude am Sprechen und das Entdecken der grundsätzlichen Funktionen von Sprache (Turn-Taking, das Sich-Ausdrücken, Kommunikation mit anderen, Einsatz von Körpersprache). Geben Sie dem Worte und verbalisieren Sie das, was Sie „zwischen den Zeilen“ heraushören können.
  • Sie können ab und zu den sprachlichen Output des Kindes auch spiegeln und mit ähnlicher Sprechfreude auch selbst in einer der des Kindes ähnlichen Fantasiesprache sprechen. Oder Sie spiegeln dem Kind die - ebenfalls expressive - Körpersprache. Setzen Sie Gestik und Mimik genauso deutlich ein wie das Kind. Sprechen Sie mit einer deutlichen Sprechmelodie und in einem deutlichen Sprechrhythmus (Prosodie). Die Sprechfreude und die Freude an einer dialogischen Form der Kommunikation stehen hier im Vordergrund. 


(c) Udo Elfert 2021


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