Das Stottern (auch "Balbuties" genannt) ist eine sehr bekannte Redeflussstörung. Etwa 1% aller Erwachsenen stottert, und so finden wir sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart viele prominente Stotterer: Bruce Willis, Winston Churchill, Sir Isaac Newton, Charles Darwin, Rowan Atkinson („Mr. Bean“), Marilyn Monroe, Samuel L. Jackson, Albert Einstein – um nur einige wenige zu nennen.
In dieser kurzen Auflistung findet sich nur eine Frau. Das hängt auch damit zusammen, dass das Stottern bei Jungen (bzw. Männern) sehr viel häufiger auftritt als bei Mädchen (bzw. Frauen): Auf 3-4 stotternde Jungen kommt nur ein stotterndes Mädchen.
Von 100 Kindern stottern während der Sprachentwicklung 5 Kinder. Bei 4 von diesen 5 stotternden Kindern legt sich das Stottern wieder von alleine. Es wird dann von Entwicklungsstottern gesprochen. Es sei an dieser Stelle aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man erst im Nachhinein davon sprechen kann, dass es sich um Entwicklungsstottern gehandelt hat. Zum Zeitpunkt, wo das Stottern bei einem Kind auftritt, können nur die Stottersymptome beobachtet werden, und man weiß nicht, ob sich das Stottern wieder von alleine legen wird oder nicht. Wenn ein Kind stottert, kann man nur sagen: „Das Kind zeigt Stottersymptome“, und nicht: „Das Kind zeigt Entwicklungsstottern.“
Beim Stottern können sich symptomarme und symptomreiche Phasen abwechseln. Oft tritt das Stottern in bestimmten Situationen auch verstärkt auf.
Stottern als Redeflussstörung bedeutet, dass der Sprechfluss dem Gesprächspartner bzw. Zuhörer als ungewöhnlich auffällt, ohne dass die Unterbrechungen bewusst als stilistisches Element – zum Beispiel als Sprechpause, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen – oder zur Gewinnung von Zeit für die weitere Sprechplanung (dies wären dann sog "funktionelle Unflüssigkeiten") genutzt werden.
Es werden Primärsymptome von Sekundärsymptomen unterschieden. Primärsymptome werden auch als Kernsymptome und Sekundärsymptome als Begleitsymptome bezeichnet. Allerdings treffen es die Begriffe Primär- und Sekundärsymptome besser, weil es eine zeitliche Abfolge gibt und zunächst die Primärsymptome auftreten und später dann die Sekundärsymptome. Deshalb werden wir im Folgenden auch bei dieser Terminologie bleiben.
Primärsymptome (= Kernsymptome)
Primärsymptome treten zu Beginn dieser Redeflussstörung auf. Im Laufe der Zeit können zusätzlich weitere, erschwerende Symptome dazukommen: die Sekundärsymptome. Doch dazu später mehr.
Zu den Primärsymptomen gehören im Wesentlichen drei verschiedene:
Wenn Kinder zu stottern beginnen, ist der Redefluss meist nur leicht bis mäßig gestört. Die Primärsymptome sind zunächst oft mild, der Sprechfluss relativ flüssig. Im Laufe der Zeit gesellen sich zu den Primärsymptomen allerdings manchmal weitere Symptome hinzu, die den Redefluss stark einschränken und das Stottern sehr viel auffälliger erscheinen lassen: die sog. Sekundärsymptome.
Sekundärsymptome (= Begleitsymptome)
Kinder, die stottern, haben häufig ein ausgesprochen gutes Monitoring, also eine sehr gute Selbstwahrnehmung.
Ein beginnendes, leichtes und recht flüssiges Stottern stellt in vielen Fällen zunächst sowohl für die betroffenen Kinder als auch für die Umwelt gar kein großes Problem dar. Stotternde Kinder nehmen zu Beginn des Stotterns ihre Sprechunflüssigkeiten oft nicht wahr. Dann reagiert allerdings die Umwelt in Form von Eltern oder anderen Bezugspersonen auf das beobachtete Stottern des Kindes: zum Beispiel durch Hinweise wie: „Sprich langsam!“, „Du kannst das doch“, „Ganz langsam!“ oder vielleicht auch nur durch einen starrenden Blick oder einen bestimmten Gesichtsausdruck. Durch die Reaktion der Bezugspersonen ist das (leicht) stotternde Kind irritiert, und es begibt sich auf die Suche nach der Ursache der Irritation. Jetzt kommt das gute Monitoring ins Spiel, und das Kind beobachtet sich selbst beim Sprechen und nimmt das irritierende Verhalten auf sein Stottern und auch das Stottern selbst wahr. Daraufhin versucht das Kind sich dann so zu verhalten, dass die irritierende Reaktion der Bezugspersonen ausbleibt. Es versucht dann sein Stottern zu vermeiden; es zeigt ein Vermeidungsverhalten.
Vermeidungsverhalten kann sich unter anderem äußern in:
Dieses Vermeidungsverhalten wird zunächst manchmal als hilfreich erlebt, um das Stottern zu vermeiden und es verselbständigt sich dadurch. Schließlich führt ein Vermeidungsverhalten dann zu einer Verschlimmerung der Stottersymptome; es ist ein typisches Beispiel für eine „Verschlimmbesserung“. Das Ergebnis sind dann sog. Sekundärsymptome (Folgesymptome, Begleitsymptome).
Zu den Sekundärsymptomen zählen:
Hinzu kommen Symptome auf emotionaler und sozialer Ebene:
Das Ausmaß der Stottersymptome gibt übrigens keinerlei Hinweise auf den Leidensdruck, den ein stotterndes Kind empfindet! Es gibt Kinder mit milder Stottersymptomatik, die sehr darunter leiden und andere Kinder mit schwerer Stottersymptomatik, die weniger darunter leiden.
Ursachen des Stotterns
Gegenüber dem Stottern bzw. gegenüber stotternden Personen gibt es eine ganze Reihe von Vorurteilen, die allesamt nicht der Wirklichkeit entsprechen. Zu solchen Vorurteilen zählen:
Was sind dann aber Ursachen des Stotterns? – Die Ursachen des Stotterns sind vielfältig und auch noch nicht vollständig geklärt. Im Allgemeinen werden die Ursachen in drei verschiedene Kategorien eingeteilt:
Psychisch-emotionale Probleme sind übrigens – wie oben bereits erwähnt – nicht Ursache, sondern Folge des Stotterns.
Interventionen bei stotternden Kindern
Folgende Beobachtungsfragen an die Eltern können hierbei hilfreich sein:
Erklären Sie den Eltern die Zusammenhänge der Symptome und ihre Wirkweise aufeinander. Hier ist allerdings viel Fingerspitzengefühl gefragt. In einigen Fällen ist es besser, die Eltern nicht auf das (Entwicklungs-)Stottern hinzuweisen, da die elterliche Intervention in vielen Fällen die Stottersymptomatik verstärkt.
Grundsätzlich gilt, ein Vermeidungsverhalten und die daraus resulierende Sekundärsymptomatik zu vermeiden.
Ein Vermeidungsverhalten ist immer zum Scheitern verurteilt. Der Weg aus dem Stottern geht nur durch das Stottern. (Deshalb heißt ein bekanntes und wirksames Stottertherapieverfahren für Kinder: KIDS - Kinder dürfen stottern!)
Deshalb ist es wichtig, dass im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung in der Kita und im Kindergarten das Kind nicht auf das Stottern hingewiesen wird und die Kommunikationssituationen möglichst natürlich und entspannt bleiben. Sollten Sie mit Eltern über das Stottern ihres Kindes sprechen, wäre dies auch ein wichtiger Hinweis für die Eltern. Außerdem ist es wichtig, das Stottern im Gespräch nicht zu einem „großen Problem“ zu machen, weil dies ein elterliches Verhalten verursachen kann, das zum Vermeidungsverhalten und damit einer verstärkten Stottersymptomatik beim Kind führt.
Bei Leidensdruck, sich verstärkender Symptomatik, lange andauerndem Stottern, Vermeidungsverhalten oder ungünstigem (stotterverstärkendem) Kommunikationsverhalten der Eltern der Eltern sollten Sie den Gang in die ärztliche oder logopädische Praxis empfehlen.
(c) Udo Elfert 2021