Der Begriff „Phonetik“ wird im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung und Sprachbeobachtung häufig verwendet. So findet man im Sprachbeobachtungsverfahren BaSiK die „phonetisch-phonologischen Kompetenzen“, beim Spracherwerb gibt es die „phonetische Entwicklung“ und man spricht davon, ob ein Laut „phonetisch erworben“ wurde und spricht vom sog. „phonetischen Inventar“, bei der Verschriftlichung der Lautsprache gibt es die „phonetische Umschrift“ (Lautschrift) bzw. das internationale „phonetische Alphabet“, es gibt spezifische Sprachfördermaßnahmen, um die „phonetische Entwicklung“ zu unterstützen und beim Schriftspracherwerb in der Grundschule spricht man von „phonetischer Schreibweise“ in der alphabetischen Phase.
Aber mit was genau befasst sich die Phonetik?
Die Phonetik ist eine eigenständige, interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin, in welche Aspekte der Linguistik, Neurologie, Physik, Mathematik, Anatomie und Physiologie hineinspielen. Der Untersuchungsgegenstand der Phonetik ist das Phon (= der Sprachlaut) (von altgriechisch ‚fonos‘ = tönend, zur Stimme gehörend).
Die Phonetik beschäftigt sich also mit den Sprachlauten. Es gibt drei Hauptteilbereiche der Phonetik:
Im Rahmen der alltagsintegrierten Sprachbildung ist vor allem die artikulatorische Phonetik interessant.
Die artikulatorische Phonetik beschäftigt sich mit der Bildung von Sprachlauten, also mit der Sprachlautproduktion. Die artikulatorische Phonetik stellt sich die Frage, wie genau die einzelnen Sprachlaute produziert, also gebildet werden.
Beispiel 1: Schauen wir uns einmal den m-Laut etwas genauer an. Bei der Produktion des m-Lautes liegen die Lippen aufeinander, mit dem Kehlkopf wird Stimme produziert und die Ausatemluft strömt durch die Nase. Daher beschreibt die artikulatorische Phonetik den m-Laut folgendermaßen: ein bilabial gebildeter (ein mit beiden Lippen gebildeter), stimmhafter (es wird Stimme eingesetzt) Nasal (die Luft entweicht bei der Lautproduktion durch die Nase und nicht, wie bei den meisten anderen Lauten, durch den Mund) – ein bilabialer, stimmhafter Nasal.
Beispiel 2: Betrachten wir jetzt den f-Laut etwas näher. Bei der Produktion dieses Lautes liegt die Unterlippe an den oberen Zähnen, beim f-Laut wird keine Stimme produziert und durch die Lautproduktion entsteht ein reibendes Geräusch. Daher bezeichnet die artikulatorische Phonetik den f-Laut als: labiodentalen (labio= Lippe, dentaler=an den Zähnen), stimmlosen (ohne Stimmproduktion) Frikativ (Reibelaut): ein labiodentaler, stimmloser Frikativ.
Das müssen Sie als pädagogische Fachkraft und selbst als Sprachfachkraft selbstverständlich nicht alles wissen. Sinnvoll ist es allerdings, eine grobe Vorstellung davon zu haben, womit sich die (artikulatorische) Phonetik überhaupt beschäftigt und was mit „Phonetik“ gemeint ist.
In der o.g. Art und Weise werden sämtliche Laute, die es in einer betreffenden Sprache gibt, durch die artikulatorische Phonetik genau beschrieben.
Die einzelnen Sprachen haben unterschiedliche Laute und auch unterschiedliche Anzahlen von Sprachlauten.
Insgesamt hat man 652 unterschiedliche Konsonanten und 269 unterschiedliche Vokale in den Sprachen der Welt gezählt. Diese werden von der Phonetik alle genau beschrieben.
Selbstverständlich werden bei keiner Sprache alle Laute verwendet.
[Kleiner Exkurs: Auch die Gebärdensprachen haben einzelne „Laute“, also kleinste gebärdensprachliche Einheiten. Diese kleinsten Einheiten werden nicht wie die Sprachlaute im Hinblick auf die Parameter Artikulationsort (z.B. „bilabial“, „labiodental“ s.o.), Artikulationsart (z.B. „nasal“, „frikativ“ s.o.) und Stimmhaftigkeit („stimmhaft“, „stimmlos“ s.o.) beschrieben, sondern im Hinblick auf Handform, Handstellung, Handbewegung und Ausführungsstelle. Daher kann ein Sprecher der Gebärdensprache auch „undeutlich sprechen“, wenn die Parameter Handform, Handstellung, Handbewegung und Ausführungsstelle nicht exakt so wie vorgesehen umgesetzt werden.]
Das phonetische Inventar gibt an, in welchem Alter welche Laute produziert werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie verwendet werden. (Ob der entsprechende Laut, der grundsätzlich produziert werden kann, dann auch verwendet wird, ist eine Frage der Phonologie und nicht der Phonetik. Vgl.: Phonologische Prozesse)
Für das Deutsche lassen sich für den phonetischen Erwerb der einzelnen Laute folgende Altersangaben machen (Angaben in Buchstaben und nicht in phonetischer Umschrift):
Womit sich die einzelnen sprachwissenschaftlichen Ebenen (linguistische Ebenen) beschäftigen, wird deutlicher, wenn man sich mit Störungen der einzelnen Bereiche beschäftigt. Da es eine phonetische Entwicklung gibt, kommt es im Rahmen der Sprachentwicklung auch zu phonetischen Auffälligkeiten und Störungen.
Zu unterscheiden ist die Phonetik von der Phonologie. Beide Fachdisziplinen beschäftigen sich mit den Sprachlauten: Der Wortbaustein „Phon“ steht für „Laut“ bzw. „Sprachlaut“. Die Phonetik befasst sich allerdings mit der Lautproduktion (Lautbildung), wohingegen sich die Phonologie mit der Lautverwendung beschäftigt. Ein Laut kann daher phonetisch erworben sein, d.h. er kann produziert werden, aber der Laut wird vielleicht nicht verwendet.
Beispiel: Viele Kinder verwenden anstelle des k-Lautes den t-Laut; aus „Käse“ wird „Täse“ und aus „Kind“ wird „Tind“. Diese Kinder weisen also einen phonologischen Prozess auf, der in der physiologischen („normalen“) Sprachentwicklung bei vielen Kindern auftritt. Fordert man die Kinder mit diesem phonologischen Prozess nun auf, den k-Laut einzeln zu produzieren, gelingt dies den meisten Kindern. Das heißt, dass der k-Laut phonetisch durchaus bereits erworben wurde – der Laut kann produziert werden – aber der Laut wird aufgrund des phonologischen Prozesses nicht verwendet. Wenn ein Kind statt „Käse“ „Täse“ sagt und statt „Kind“ „Tind“ ist dies meistens ein Phänomen auf der Ebene der Phonologie (Lautverwendung) und nicht auf der Ebene der Phonetik (Lautproduktion).
(c) Udo Elfert 2021